15. Dezember 2018

Vor einem Jahr ...

Was hatte unser großer Grauer vor einem Jahr noch für
mächtige Katerbacken!

... haben wir dann auch Sherlock kennengelernt - als uns klar war, dass wir den kleinen Link gern nehmen wollten, auch wenn er sich beim Fressen so unmöglich aufführte und es mit seiner Sozialisation noch nicht so weit her war. Deswegen wollte man ihn im Tierheim ja nur zu oder mit einer anderen Katze abgeben. Und es war ein großer Grauer in der Vermittlungsliste aufgetaucht, der auf dem dazugehörigen Foto zwar irgendwie grummlig aussah, aber trotzdem ganz faszinierend und vom Alter und vom Naturell her scheinbar passend.

Sherlock, der kurzzeitig noch als Jim firmierte, saß allein in seinem Gehege, als ich ins Tierheim kam, und mein erster Gedanke war: Meine Güte, ist der schön. (Ich bin noch immer überzeugt, dass mindestens ein Kartäuser durch seinen Stammbaum gehuscht ist.) Zwar auch distanziert und ganz offenkundig unglaublich unglücklich, möglicherweise mad, bad and dangerous to know, aber ja, faszinierend. Dass er dann wirklich zu uns kam, war verdammt knapp: Buchstäblich fünf Minuten, nachdem ich die Tierpfleger gebeten hatte, diesen schönen Kerl für uns zu reservieren und als möglichen Gefährten für Link vorzusehen, erschien nämlich schon ein Pärchen, das ihn auch gern gehabt hätte.

Und während wir gedacht hatten, dass es schwer sein würde, den kleinen Loki, der zu Anfang nur Krallen und Zähne war, zu einem echten Schmusekater zu erziehen, stellte sich Sherlock als die eigentliche Herausforderung heraus. Loki ist ein kleiner Krawallo, der sich auch heute noch mit  Entwicklungsdefiziten herumschlägt, die wir darauf zurückführen, dass er sich vermutlich viel zu früh allein durchschlagen musste, aber er ist inzwischen sehr anhänglich und findet nichts schöner, als abends mit Körperkontakt nahe bei seinen Menschen auf dem Sofa zu liegen. Gut, am Anfang wusste er noch nicht so genau, wie man kuschelt oder wie man es verletzungsfrei zeigt, dass man andere Katzen oder Menschen gut findet. Und wie man sich in einer Herde benimmt, wie man als Katze über Zäune klettert, stechende Insekten und giftige Pflanzen erkennt oder sich unfallfrei durch einen Parcours aus Geschirr, Büchern oder iPads bewegt, weiß er teilweise noch immer nicht.


Dieser traurige Blick!
Sherlock weiß das alles, aber Kuscheln ist nicht so sein Ding, und andere Katzen oder Menschen findet er okay, braucht sie aber höchstens dafür, ihm hin und wieder eine Dose aufzumachen oder ihm eine Wurmkur zu spendieren. In der Zeit, in der er als Streuner in Kiel-Mettenhof gelebt hat, hat er schließlich auch alles allein geschafft - sich was zu fressen besorgen, die besten, wärmsten und sichersten Unterschlüpfe finden, sich trotz seiner enormen Rückenlänge bis auf DinA4 zusammenfalten und in den kleinsten Lücken verstecken, aus dem Stand mindestens einen Meter achtzig hoch springen, Türen aufmachen und sich andere Katzen vom Leib halten.

Er ist der Kater der Widersprüche: Ein echter Athlet mit enormen Kräften, der sich von seinem halbwüchsigen Adoptivbruder monatelang vom Fressnapf wegdrängen ließ, ein aggressiver Jäger mit blitzschnellen Reaktionen, der sich kurz freundlich streicheln lässt, der gleichzeitig am liebsten Abstand hält und doch zumindest im gleichen Raum wie seine neuen Menschen sein will, wenn er sich im Haus zum Schlafen einrollt. Es hat Monate gedauert, bis er zum ersten Mal wirklich geschnurrt hat, wenn wir ihn gestreichelt haben. Inzwischen kommt das öfter vor, und jetzt ist er auch soweit, dass er hin und wieder die Nähe seiner Menschen aktiv sucht, zu uns kommt, Köpfchen gibt, uns um die Beine geht, sich ausstreckt und deutlich zeigt: Ja, kraul mich mal am Kinn, das fände ich jetzt wirklich super. Aber achte darauf, wenn mein Schwanz schlägt oder ich dich mit der Vorderpfote wegschiebe, das heißt nämlich, mir reicht's.

Jetzt, nach einem Jahr, genießen wir alle unsere Nähe.