Kater Sherlock


Sherlock wurde im November 2017 an der Stockholmer Straße in Kiel aufgegriffen und ins Tierheim Uhlenkrog gebracht. Der Tierarzt schätzte ihn damals auf zweieinhalb Jahre. Wir konnten eigentlich gar nicht glauben, dass so ein extrem schöner Kerl, der garantiert irgendwo einen Kartäuser im Stammbaum hat und von daher schon ein wenig wie die typische Whiskas-Katze aussieht, keinen Besitzer gehabt haben soll, der ihn vermisst hätte, aber so war es wohl - Sherlock hatte zwar einen Chip, war aber nirgendwo registriert.

Im Tierheim bewohnte er zunächst ein Gehege ganz allein und war sehr zurückhaltend - zwar offensichtlich an Menschen gewöhnt und auch nicht ängstlich, aber distanziert. Wie wir dann später erfuhren, hatte er allerdings schon lange kein festes Zuhause mehr gehabt, sondern auf der Straße gelebt und sich mal hier, mal da von mitfühlenden Katzenbesitzern mit durchfüttern oder beim Tierarzt versorgen lassen. Offensichtlich war er überall nur der Besuchskater, der sich an die schon vorhandene Katze anpassen musste, was uns ein wenig erklärt, warum er sich bei uns von Loki so viel bieten lässt. Sherlock ist empfindlich und sensibel - wenn Loki auf seinen Fressnapf anlegt, dann zieht der viel größere und kräftigere Sherlock den Kopf ein und geht weg. Wenn seine Menschen ihn streicheln und Loki dazukommt und drängelt, steht er auch sofort auf und geht auf Abstand. Dass er hier die gleichen Rechte hat wie der kleine Krawallo, hat er noch nicht verinnerlicht.

Während er gegenüber seinem kleinen Mitbewohner im Haus ausgesprochen nachgiebig war, drehte er bei seinen ersten Runden im neuen Außenrevier richtig auf: Kaum war nach drei Wochen Quarantäne die Terrassentür offen, verschwand Sherlock in die verlockende ländliche Nachbarschaft und ließ sich kaum noch zuhause blicken. Auf der Suche nach dem verlorenen Sohn erfuhren wir dann von unseren nicht wirklich amüsierten Nachbarn, dass unser großer Grauer sich mit jedem anderen erwachsenen Kater angelegt und kräftig geprügelt hatte, und der anschließende Check beim Tierarzt ergab: Sherlock fühlte sich zwar kastriert an, war aber noch ein "intakter Kater", bei dem sich ein Hoden im Leistenkanal versteckt hatte. Seit seiner OP ist er tatsächlich deutlich ruhiger geworden, bleibt selten länger als ein paar Stunden weg und kann auch gut damit leben, dass die Katzenklappe nachts geschlossen bleibt und er drinnen schläft.

Ein Schmusekater ist er bisher nicht - zwar holt er sich schon seine Streicheleinheiten und lässt sich sehr gern und ausdauernd am Kinn kraulen, aber er hält zu seinen Mitbewohnern, Mensch wie Kater, gern etwas Abstand. Das ist ein Konzept, das Loki nur bedingt versteht, weswegen sich Sherlock zum Schlafen auch am liebsten in Höhlen oder in seine Transportbox zurückzieht, wo ihm der kleine Krawallo nicht auf den Rücken springen oder in den Schwanz beißen kann. Trotz seiner langen Zeit auf der Straße ist er beim Fressen wählerisch und empfindlich; manchmal lässt er sich überhaupt nur zu etwas Futter überreden, wenn man ihm einen Löffel nach dem anderen anbietet und schön neben ihm sitzen bleibt. Dann lenkt ihn auch jedes Geräusch und jede Bewegung ab - er erschrickt schnell und ist sehr wachsam.

Nachdem er Loki die ersten sechs Wochen so gut ignoriert hat, wie es in einem gemeinsamen Haushalt möglich ist, haben die beiden inzwischen angefangen, spielerische Kämpfe auszutragen, die auch nicht immer nur von Loki ausgehen, der seinen großen Kumpel allerdings schon ausgesucht und ausdauernd provozieren kann, wenn er will. Es wird sicher noch eine Weile dauern, bis er bei uns richtig angekommen sein wird, aber er ist auf einem guten Weg.
(März 2018)