25. August 2021

Zungenschlag

Puuuh, lecken geht schon wieder ...

"Duuu, Sherlock! Jetzt komm doch mal! Hier war so viel los, ich muss unbedingt erzählen!"
Ich bin ja schon da, kleiner Loki. Was war denn? - Ups, die Menschen sind ja schon wieder da, wollten die nicht noch in Urlaub sein?
"Ja, wollten sie. Aber dann ... Was schnupperst du denn so?"
Hier ist so ein ganz komischer Geruch - bist du das?
"Du kannst mit deiner Astralnase riechen?"
Ich kann auch mit meinen Astralaugen gucken und mit meinen Astralohren hören, du Schlauberger.
"Stimmt natürlich. - Äh, ja, das bin wohl ich. Guck mal hier, meine Zunge ..."
Ach du Elend, wie sieht das denn aus - da ist ja ein richtiger Krater drin!
"Ist da noch Eiter und Blut dabei?" 
Ihhh! - Nee, das nicht, aber so mitten auf der Zunge ist eine große, wunde Stelle, das sieht fies aus. Und lecker riechst du gerade nicht aus dem Maul, Kleiner.
"Das ist schon viel besser, kann ich dir sagen. Vorher konnte ich mich selber nicht riechen. Und dann hab ich auch so gesabbert, das war mir ganz unangenehm, aber ich konnte nichts dran machen. Das Schlimmste war aber, dass es so weh getan hat. Ich mochte überhaupt nichts fressen, und ich mochte mich auch nicht lecken. Die Donnerstagsfrau war ganz fertig."
Ach ja, die hat dich ja versorgt. 
"Ja, und weißt du was? Sie ist gar nicht immer nur nett! Dabei hat sie doch früher nie was Fieses mit mir gemacht, sondern mir immer Käse und Stäbchen gegeben und mich gekrault, und ich durfte richtig ruppig mit ihrer Hand spielen. Aber jetzt hat sie mich auf einmal auch zu so einer komischen Frau gebracht, die mich so gepiekt hat, wie die das immer machen!"
Naja, Loki, aber wenn es dir so schlecht ging, dann musste sie doch mit dir zum Tierarzt, wenn die Menschen schon nicht da waren.
"Sie hat mich im Nacken gepackt und in die Box gesperrt, das hatte ich überhaupt nicht erwartet! Sonst hat sie mich immer ganz viel gestreichelt und ganz lieb mit mir gesprochen."
Aber davon wird ja so ein Loch in der Zunge nicht besser. Wie hast du dir das denn überhaupt zugezogen?
"Keine Ahnung. Schmerzen auf der Zunge hatte ich schon länger, aber ich wollte das nicht so zeigen, weil ich ja wusste, dass die Menschen wegfahren wollten, das wollte ich ihnen nicht kaputtmachen."
Jungejunge, so rücksichtsvoll kenn ich dich ja gar nicht. Aber stimmt, du hattest vorher schon mal nicht so richtig fressen wollen.
"Das wurde dann aber wieder besser. Jetzt aber nicht. Auch nicht, nachdem mich die Frau gepiekt hatte. Die Donnerstagsfrau hat mir dann noch so'n Zeug ins Maul getropft, das brannte zwar, aber danach war der Schmerz ein bisschen weg, jedenfalls für eine gewisse Zeit. Und ich hatte die ganze Zeit so einen Hunger, du! Und sie hat die leckersten Sachen ausgepackt, diese Hühnerfilets in Gelee und so, und ich hätte so gerne was davon gefressen, aber das ging nicht. Mir war echt elend."
Das glaub ich.
"Und keiner war hier, um sich um mich zu kümmern! Die Donnerstagsfrau ist ja dann auch immer wieder weggefahren. Aber dann sind die Menschen wiedergekommen, und ich hab mich so gefreut!"
Hast du das etwa wieder raushängen lassen? Kleiner, ich sag doch immer, als Kater zeigt man sich eher indifferent.
"Ist mir egal, ich bin da anders. Ich war draußen unterwegs, als sie kamen, und habe das erst mitbekommen, als sie nach mir gerufen haben. Aber da habe ich gleich geantwortet, ganz laut! Mauuuu-mauuuu-maaaauuuuuu!"
Und bist zu ihnen hingerannt?
"Ja, sofort. Du, die Menschen freuen sich, wenn man ihnen zeigt, dass man sie vermisst hat. Sie haben mich gestreichelt und gekrault, aber dann ... also, das war echt der Hammer!"
Wieso, was denn?
"Dann hat mich der Büromensch auf den Arm genommen und auf den Küchentisch gesetzt ..."
Na und?
"Und der Außer-Haus-Mensch kam mit der Box! Ich war fassungslos! Sie kommen wieder und schleppen mich sofort zu so einer Piekse-Frau!" 
Dir ging's aber doch schlecht. Tierarzt ist immer grässlich, aber du brauchtest doch Medizin für deine Zunge.
"Najaaa ... von mir aus. Ich war eh so fertig, ich hab mich nur zusammengekauert und nicht mehr bewegt, bis sie den Deckel wieder abgenommen haben. Und dann ging das erst richtig los! Dreimal haben sie mich in den Hintern gepiekt, und dann guck dir das hier mal an! Sie haben mir die Vorderbeine rasiert und mich noch mehr gepiekt, und jetzt hab ich da so fiese blaue Flecken, als hätte ich gekämpft!"
Tatsächlich! Da war die Tierärztin beim Blutabnehmen wohl nicht die Geschickteste. 
"Erst rechts, dann links! Aua!"
Ja, das sieht nicht schön aus, Blutergüsse sieht man so gut unter deinem weißen Flaum, schicker Kontrast.
"Hähä. Sie haben jedenfalls gesagt, dass meine Zunge geblutet und geeitert hat, das war ein richtiges Geschwür. Aber ich muss ja zugeben, nach dieser Tortur ging es mir ein bisschen besser. Und als wir zuhause waren, war es richtig schön. Meine Menschen waren ja wieder da, ich musste nicht mehr alleine sein."
Du hast dich also nicht als erstes im Keller versteckt?
"Nein, da bin ich nur aus Gewohnheit für zwei Minuten mal runter. Dann bin ich beim Büromenschen auf den Schoß, kaum dass sie sich in den Sessel gesetzt hat, und den ganzen Abend nicht mehr runter. Sie hat sich sogar gefallen lassen, dass ich wie wild getretelt habe. Und leider war das mit dem Sabbern noch nicht so richtig vorbei, das war mir ein bisschen peinlich, aber sie hat mir mit einem Tuch das Maul abgewischt, das war angenehm. Man lässt sich ja nicht gern so gehen."
Nein, aber da konntest du ja nichts dafür.
"Hat sie auch gesagt. Sie waren beide total lieb zu mir und haben mich gestreichelt und gekrault, bis sie ins Bett sind. Ich wollte natürlich gern mit, aber das sollte ich dann doch nicht ... naja ..."
An der Tür trommeln hat nichts genützt? Immer noch Schlafzimmersperrgebiet?
"Ja, da sind sie irgendwie total streng. Aber morgens um fünf, als ich merkte, dass es nicht mehr ganz so weh tut und ich richtig Hunger hatte, da haben sie die Tür aufgemacht und sind gleich mit mir in die Küche. Sie hatten so ein komisches Futter vom Tierarzt mitbekommen, völlig matschig und wabbelig, das roch schlimmer als ich, und das sollte ich fressen. I-gitt! Aber dann hat der Büromensch ein Schälchen mit der leckeren Wildpastete mit Huhn aufgemacht, die ich sonst auch bekomme, und sich mit mir auf den Boden gesetzt und mir die so Löffel für Löffel gegeben. War das lecker. Obwohl da schon wieder richtig viel Gekrümel drin war und auch dieses Zeug, das mir die Donnerstagsfrau ins Maul getropft hatte."
Schmerzmittel.
"Irgendwelche Medizin eben. Egal, da bin ich ja mittlerweile viel gewöhnt. Jedenfalls habe ich das richtig gern gefressen, und sie hat sich so gefreut. Und dann durfte ich um halb sechs schon nach draußen."
Und seitdem geht's wieder?
"Ja. Bloß hab ich das Gefühl, die werden mich noch öfter zum Pieksen schleppen. Gestern waren wir ja auch schon wieder da."
"Mein Mensch ist wieder da!
Den lass ich nicht mehr los!"
Aber wenn's dir davon besser geht ...
"Sollen die mir die ganze Medizin doch ins Futter geben! Und immer fremde Leute, die mir im Mund rumgrabbeln ... das ist doch übergriffig, so was! - Aber von mir aus. Meine Menschen sind wieder da, das ist die Hauptsache. Sie waren den ganzen Tag im Garten und haben viel auf dem Wackelsofa gesessen, und ich habe zwar ein paar Runden gedreht, aber die meiste Zeit war ich bei ihnen, bin sogar rauf auf dieses Ding - an das Schaukeln habe ich mich gewöhnt, das ist irgendwie sogar ganz schön. Und ich habe mich an den Außer-Haus-Menschen angeschmust und die Pfote auf ihr Bein gelegt, und sie musste still bei mir sitzen bleiben, obwohl sie doch sonst immer so viel auf Achse ist. Aber sie fand das wohl auch schön."
Bestimmt. Die sind froh, dass du wieder gesund wirst.
"Und ich erst."
Wie hast du dir denn aber sowas eingefangen? Bei einem Kampf mit Paul?
"Nee, glaub ich nicht. Wir haben uns zwar inzwischen ein paar Mal gekloppt - das muss ich dir ein andernmal noch ausführlich erzählen. Aber inzwischen starren wir uns an und gehen uns dann aus dem Weg, oder ich jage ihn weg oder er jagt mich weg."
Hast du etwa wieder an irgendwas rumgekaut, was scharfkantig war? Du labberst doch immer noch alles an, sogar Rosensträucher, egal, wie viele Dornen die haben.
"Ach, so schlimm sind die gar nicht. Aber ich glaub nicht, dass es sowas war. Keine Ahnung. Irgendwann war das da." 
Und jetzt geht's weg.
"Hoffentlich. Wieso muss ich eigentlich immer so viel Sachen haben, mit denen ich zum Tierarzt muss, Sherlock?"
Isso, kleiner Loki ...

Ja, Lokis Menschen sind eine Woche früher nach Hause gefahren, nachdem es dem kleinen Kerl nicht besser gehen wollte und klar war, dass eine langwierigere Behandlung bevorstand. Der Grund für dieses Zungengeschwür sind höchstwahrscheinlich wieder einmal die Caliciviren, mit denen er seit dem Tierheim zu kämpfen hat und die gern dann eine neue Infektion auslösen, wenn er Stress hat. Und die Revierkonkurrenz durch Paul hat ihm in den letzten Wochen schwer zu schaffen gemacht. Jetzt hoffen wir, dass die Behandlung gut anschlägt; beim gestrigen Besuch in der Tierklinik war zumindest der Eiter verschwunden und es blutete nicht mehr, und Loki hat wieder seinen gewohnten Appetit. Und dass er so anhänglich ist und jeden Augenblick nutzt, um sich an uns anzukuscheln, ist für das ganze Schleichteam richtig schön.