20. September 2021

Freigang und Vertrauen

"Diese Klappe - funktioniert die auch nachts?"

"Naaa, Sherlock? Alles im Lack?"
Alles bestens im Astralreich, kleiner Loki. Und bei dir?
"Och, naja, doch ... bei mir läuft's inzwischen auch wieder ganz gut. Paul und ich haben uns so einigermaßen geeinigt, wer wo jagt. Hoffe ich jedenfalls, immerhin habe ich wieder ein paar Mäuse aufgestöbert - gestern und vorgestern hatte ich wieder richtig Jagdglück, das habe ich auch so laut und anhaltend verkündet, dass die Menschen ganz irritiert waren ..."
Du meinst, du hast gemaunzt und gegurrt wie wild, als du sie reingeschleppt hast?
"Gute zwei Minuten, die ganze Tonleiter rauf und runter. Menschen kriegen ja sonst gar nicht so viel mit, die haben ja keine so scharfen Sinne wie wir, da muss man schon immer ein bisschen dicker auftragen."
Das stimmt wohl.
"Jedenfalls kontrolliere ich wieder richtig mein Revier. Den Garten an der großen Straße allerdings ... naja, den hat sich Paul unter den Nagel gerissen. Weil sein Haus drinsteht, ist er da gewissermaßen auch im Vorteil. Das ist schon ein bisschen doof, das war ein tolles Jagdgebiet, aber von mir aus ... Trotzdem ziehe ich jetzt wieder so richtig los, ich habe das Gefühl, demnächst wird es wieder kalt, da will ich jetzt noch ausnutzen, dass man sich auf dem Acker noch nicht die Pfoten abfriert. Und außerdem sind die Futterportionen so geschrumpft, da muss ich maustechnisch ein bisschen gegensteuern."
Ich sag's ja immer, ein bisschen Intervallfasten erhält die Geschmeidigkeit.
"Ich bin mir geschmeidig genug, schönen Dank - ich hätte lieber wieder mehr zu fressen! Aber ich habe es auch noch nicht aufgegeben, die Menschen in der Hinsicht zu bearbeiten. Steter Tropfen höhlt den Stein - auch da hilft es, wenn man sich als Kater lautstark zu Wort meldet."
Ja, das habe ich schon so beobachtet bei dir - du bist ja ein richtiger Schnacker geworden.
"Die Menschen mögen das. Sie verstehen die Feinheiten zwar nur unvollkommen, aber auf alle Fälle bekomme ich so meine Aufmerksamkeit! Und das mag ich! Immer nützt es aber auch nichts, laut zu maunzen ..."
Wieso?
"Ach, vorgestern Abend habe ich nach den Menschen gerufen, und da hat mich keiner gehört! Die haben mich einfach draußen sitzen lassen, du! Ohne mich reinzuholen, als es dunkel wurde!"
Funktioniert die Klappe denn nicht mehr? Du hättest doch einfach so reingehen können?
"Doch, wahrscheinlich hätte die funktioniert ... aber es war ganz dunkel im Wohnzimmer - die sind einfach irgendwo hingegangen und haben sich überhaupt nicht um mich gekümmert! Ich bin nach dem Abendessen ganz normal raus, und als ich vom Acker wiederkam, war drinnen kein Licht und kein Laut. Also habe ich mich erstmal auf meinen Hocker gelegt und abgewartet, und dann wurde es dämmrig, und dann bin ich noch mal durch den Garten, und dann wurde es ganz dunkel, und drinnen war noch immer niemand ... das fand ich ganz schlimm! Man weiß ja nie, was denen einfällt - hätte doch auch sein können, dass sie wieder in diesen Urlaub gefahren sind oder so. Aber die Autos waren noch da, also dachte ich, die können ja nicht so weit sein, und da habe ich mich schließlich bei Pauls Mensch vor die Haustür gesetzt und ganz, ganz laut gemaunzt."
Und?
"Und gar nichts! Ich saß einfach im Dunkeln draußen, und nichts ist passiert!"
Das ist doch super, kleiner Loki - nachts jagen, das ist viel besser als tagsüber, man erwischt zwar keine Vögel, aber die Mäuse sind viel unvorsichtiger, und überhaupt ist die Nacht die Zeit der Katzen. Du willst doch abends sonst gar nicht rein und lässt dich immer lange bitten, wenn die Menschen dich rufen.
"Ach, das ist doch bloß so ein Ritual bei uns! Sie rufen mich, und dann ziere ich mich solange, bis sie irgendein Leckerli rausrücken - sonst kriege ich ja keine mehr! Aber das heißt doch nicht, dass sie mich einfach vergessen dürfen!"
Wieso bist du nicht einfach rein?
"Weiß ich auch nicht ... ich bin dann rüber in den Hochbeetgarten und dann noch mal bis auf den Acker, dann hatte ich auch Mausaroma in der Nase, das hat mich kurz abgelenkt. Aber ich war ganz schön beleidigt, du. Und es wurde auch eklig kalt draußen."
Kamen die Menschen denn gar nicht wieder?
"Doch ... der Außer-Haus-Mensch war irgendwann auf der Einfahrt und hat mich gerufen. Ich hab mich so gefreut! Der Büromensch war noch unterwegs, offenbar hatte mein Halsband kein Signal gegeben, weil ich zu weit draußen auf dem Acker war, und sie hatte schon die große Straße nach mir abgesucht. Sie waren wohl im Dorf gewesen, auf irgendso einem Fest."
Tja, und dann hatten sie gedacht, sie tun dir einen Gefallen, wenn du trotzdem noch raus darfst.
"Wenn man mich vergisst, ist das überhaupt kein Gefallen, du."
Haben sie doch gar nicht. Sie haben gedacht, du gehst irgendwann von selbst rein.
"Wozu denn, wenn keiner da ist! Ich will abends meine Herde, mein Schleichteam! Ich will helles Licht und Fernsehen und einen Menschen als Unterlage, der mich am Backenbart krault! Draußen rumrennen kann ich den ganzen Tag!"
"So muss das!"
 
Manchmal kapier ich dich echt nicht, Kleiner. Ich wollte meine Freiheit draußen.
"Ich will meine Menschen."
Das haben sie jetzt wahrscheinlich auch kapiert, du.
"Das hoffe ich mal. Wieso ist das bloß immer so schwer, Menschen klarzumachen, was man als Kater will?"
Isso, kleiner Loki. Wobei: Du hast das doch schon ganz gut drauf ...

Tatsächlich hatten wir gedacht, es wäre schön für Loki, wenn er seine gewohnte Runde nach dem Fressen drehen darf und wir ihn nicht schon früher als gewöhnlich im Haus behalten, nur, weil wir abends noch weggehen. Woraufhin er nach Einbruch der Dunkelheit kläglich maunzend bei unseren Nachbarn aufschlug, weil er mit seiner Freiheit wohl gar nicht so viel anzufangen wusste. Wir haben daraus gelernt: Bei Loki stehen offenbar Gewohnheit und Sicherheit an erster Stelle ...