15. April 2022

Invasion


"Duuu, Sherlock! Ach, das ist schön, dass du da bist, hier war ja so viel los!"
Na, was denn? Du siehst ja ganz aufgebracht aus.
"Die Menschen spinnen total, Sherlock! Das war ja so eine blöde Woche!"
Ach, du hattest deine Herzuntersuchung, oder?
"Ja, damit fing das an. Das ist immer so link von denen - die locken mich jedes Mal wieder in eine Falle! Ich hatte schon so eine Ahnung, weil sie mich morgens nicht gleich rausgelassen haben, und die kleine Klappe war auch zu. Allerdings war das Wetter eh nicht so doll, deswegen fand ich das zuerst nicht so tragisch. Nur, als dann der Außer-Haus-Mensch so getan hat, als ob sie mir die Tür aufmachen will, und dann auch der Büromensch ins Wohnzimmer kam - da schwante mir schon sowas. Ich wollte noch rausrennen, aber sie war schneller als ich und hat die Tür zugemacht. Und dann bin ich unters Sofa."
Dass du da überhaupt noch drunter passt ...
"Wieso nicht? Hast du doch auch immer geschafft mit deinem großen Bollerkopp!"
Hey hey, langsam, kleiner Loki, wenn ich dich hier noch bedauern soll, musst du dich vielleicht ein bisschen anders aufführen.
"Schon gut, war nicht so gemeint. Jedenfalls haben sie mich tatsächlich zum Arzt geschleppt. Und dann kam wieder diese ganze Arie mit Rasieren und Festhalten und mit dem glitschigen Zeug einreiben, eklig ist das, hu, und furchtbar stressig ... Der Mensch war danach auch ganz komisch, sie macht sich irgendwie Sorgen, dabei geht's mir doch gut. Ich soll jetzt noch so eine andere Pille nehmen, die Pieksefrau hat da einen fürchterlichen Aufstand drum gemacht, weil die so bitter sein soll und die Einnahme so schwierig. Jedenfalls war der Mensch dann ganz nervös, als wir danach wieder zuhause waren und sie mir das Zeug in diese leckere Malzpaste gekrümelt hat."
Und, ist es bitter?
"Bisschen, aber nicht so schlimm. Ich liebe Malzpaste, die gibt's sonst gar nicht so oft und auch nie so viel. Und ich hab mir gedacht, damit der Mensch sich mal wieder beruhigt und sieht, dass das alles kein Problem ist, leck ich das mal gleich zügig weg."
Als ob du dafür einen besonderen Anreiz bräuchtest.
"Nein, das war total okay. Und wenn den Menschen das glücklich macht ..."
Sehr nett von dir, Kleiner. Und du hast ja auch was davon. Und was war dann noch diese Woche?
"Der Lärm gestern! Ich dachte, die wollen mein Haus abreißen, das war so schrecklich!"
Hm, das sieht aber doch noch alles ganz gut aus ...
"Ja, komisch, man sieht gar nicht viel davon. Aber das fing schon ganz übel an. Ich lag morgens noch unter meiner Zypresse und wollte ein bisschen chillen, da kam der Büromensch raus und wollte mich reinlocken, und ich dachte noch, haha, das kenn ich schon, da muss ich bestimmt wieder in die schreckliche Kiste, deswegen bin ich sitzengeblieben. Und dann kamen drei Männer auf die Terrasse! Ganz fremde Leute, die ich noch nie gesehen hatte! Mit furchtbar viel Sachen, Leitern und Werkzeug und allem möglichen Kram! Ich bin erstmal mit einem langen Hechter über den Zaun zu Nachbars. Erst wollte ich gar nicht weiter weg, weil ich dachte, die gehen vielleicht gleich wieder, und dann kann ich für meine Büro-Dreamies rein. Aber dann haben sie mit dem Krach angefangen. Sherlock, das war so laut! Der ganze Boden hat gewackelt! Schlimm!"
Ja, so laute Geräusche sind fies ... davor hatte ich auch immer Angst.
"Ich bin bis auf den Acker, und selbst da war das noch laut! Und ich dachte d
och, die machen mein schönes Haus kaputt, und wo soll ich denn dann hin!"
Die Menschen würden dir schon was schönes Neues suchen. 
"Aber ich will nichts Neues! Ich will mein Revier mit meinem Schleichteam!"
Glücklicherweise ist ja beides auch noch da.
"Gestern habe ich da aber wirklich dran gezweifelt, du. Der Lärm hat überhaupt nicht aufgehört, das ging stundenlang. Weit über meine Stäbchenzeit hinaus! Irgendwann war es aber doch kurz ruhig, und ich bin unter die Zypresse gekrochen und habe die Lage gepeilt und gewartet, bis diese drei Kerle zu ihrem Auto gegangen sind, und dann bin ich wie der Blitz durch die Klappe in den Keller. Keine Sekunde zu früh, sag ich dir, danach ging dieses Dröhnen und Vibrieren wieder los."
 

Hast du wenigstens dem Menschen gesagt, dass du wieder da bist? Wenn die Stäbchenzeit schon vorbei war, dann hat sie sich doch sicher Sorgen um dich gemacht.
"Daran habe ich gar nicht gedacht, du. So im Nachhinein habe ich auch kapiert, dass sie mich morgens wahrscheinlich nur in Sicherheit bringen wollte. Hätte sie mir aber vielleicht bisschen besser erklären müssen. Sie hat mich dann aber schnell gefunden, obwohl ich in meinem besten und tiefsten und schlausten Versteck war."
Ach, nicht hinterm Heizkessel?
"Nee, das war mir noch viel zu offen. Ich bin unter die Kellertreppe hinter die beiden alten Reifen. Der Mensch hat auch einen Moment gebraucht, bis sie mich gefunden hat - erst hat sie bei der Heizung nachgesehen, aber bisschen später hat mein Halsband gepiept ..."
Weil sie den Tracker angepeilt hat.
"Wie auch immer, jedenfalls kam sie dann mit einer Taschenlampe und hat ganz beruhigend mit mir gesprochen und gesagt, dass alles in Ordnung ist und dass dieser ganze Aufstand nicht mehr lange dauert, und dann bin ich irgendwann auch wieder hinter die Heizung. Ist ja doch gemütlicher, seit sie mir da eine Badematte hingelegt haben. Und sie kam und hat mir mein Stäbchen gebracht."
Du bist verwöhnt, Kleiner, ich sag's ja immer wieder.
"Sagst du nicht immer, sowas steht einem als Kater zu?"
Klar, kleiner Loki, isso.
"Halt halt halt, ich muss doch noch den Rest erzählen, isso sagst du doch immer zum Schluss."
Na, das Haus steht noch, also kann doch nicht mehr so viel passiert sein, oder?
"Die haben so ein komisches Ding auf der Terrasse angebracht! So ein riesiges Tuch, das aus der Wand rauskommt, und das flattert ganz komisch und knarrt - also, mir ist das nicht geheuer!"
Oh, sowas kenn ich, eine Markise! Die gab es ...
"... früher bei dir in Mettenhof auch schon, wenn ich mir das nicht gedacht hätte. Was soll denn sowas?"
Damit kann man im Sommer für kühlen Schatten sorgen. Das ist gar nicht mal schlecht, wenn es richtig heiß wird. Und die Dinger schützen auch vor Regen, da wird dein Hocker nicht mehr nass.
 
"Ach, echt? Hm ... das ist ja dann vielleicht doch gar nicht so doof ... Jedenfalls macht das total seltsame Geräusche, das brummt auch so, daran muss ich mich erst gewöhnen. Der Büromensch hat sich jedenfalls total gefreut, sie sitzt ja immer gerne auf der Terrasse und arbeitet da. Das finde ich auch viel schöner, als wenn sie oben im Büro hockt. Denn dann kann ich ihr Gesellschaft leisten und neben ihr auf dem Stuhl liegen, aber es ist nicht so langweilig, weil ich trotzdem die Vögel und die Schmetterlinge beobachten kann und außerdem im Blick behalte, ob Paul wieder durch meinen Garten schleicht. Du, das muss ich dir überhaupt noch erzählen - die streicheln den! Meine Menschen! Ich hab's gesehen, die haben Paul gestreichelt!"
 
 
Loki, jetzt mach mal nicht so einen Aufstand. Vielleicht ist das ein ganz Netter. Unsere Menschen mögen Katzen, und wenn er so einer ist, der sich schnell mal anschmust, natürlich streicheln sie den.
"Der biedert sich so an, das ist ekelhaft! Und überall rennt er rein, der ist total distanzlos, schlimmer noch als der olle Moby früher! Meine Menschen sollen den nicht streicheln! Ich war ja so beleidigt, als ich das gesehen habe. Warum muss man bloß immer andere Kater in der Nachbarschaft haben, Sherlock?"
Isso, kleiner Loki. Aber ich wette, unsere Menschen haben keinen so lieb wie dich.
"Meinste ehrlich? - Puuuuh ..."