Reiseritis

"Duuuu, Sherlock ...?"
"Hmmm?"
"Machen unsere Menschen das jetzt immer, dass sie nur für ein paar Tage kommen und wir zwischendurch immer allein zurecht kommen müssen?"
"Nun mach mal nicht so ein Drama, Loki. Sie sind zweimal hintereinander für eine Woche weggewesen, aber wir waren doch gut versorgt."
"Ich fand das nicht schön! Da waren sie ein paar Abende wieder da und haben mit mir geschmust, und schon waren sie wieder weg, und ich hatte abends überhaupt keine Gesellschaft!"

"Kurz vorher hatten sie aber doch auch noch Besuch mitgebracht, da hattest du doch sogar noch mehr Menschenkontakt als sonst."
"Die waren nett. Aber sie haben so viel Unruhe mitgebracht. Die ganze Einpackerei, dann haben sie so viele Sachen ins Auto geschleppt und mir den doofen Automat wieder hergestellt. Und du, in deinem Schlafzimmer hat auch jemand geschlafen!"
"Hab ich gesehen. Aber ja nicht in meinem Nest."
"Trotzdem! Haben die dich gefragt, ob das okay ist? Mir hat keiner was gesagt! Ich wollte dich morgens lecken, und du warst gar nicht da, aber da, wo ich sonst immer meine Dreamies bekomme, stand ein Klappbett und da war jemand drin. Und weil ich dachte, sie könnte mir vielleicht den Schrank in der Küche aufmachen, habe ich sie mal ganz vorsichtig am Knie angetippt. Wach geworden ist sie aber erst, als ich sie vom Schreibtisch aus eine ganze Weile angestarrt habe."
"Und, hat sie dich gefüttert?"
"Nee ... Aber immerhin hatte sie die Tür zu ihrem Zimmer aufgelassen. Unsere Menschen machen das ja nie."
"Die wollen eben nicht am Knie angetippt werden."
"Meinste? Menschen sind komisch. Auch diese Wegfahrerei ist komisch. Wieso wollen die denn immer woanders hin?"
"Die mögen das."
"Genau, wie Besuch haben. Das ist auch sowas, das ich nicht verstehe. Ich mag das am liebsten, wenn alles so ist wie immer, wenn unsere Menschen nur für uns da sind und das möglichst den ganzen Tag."

"Ein Koffer! Das ist kein gutes Zeichen!"

"Da sind wie ausnahmsweise mal einer Meinung."
"Sowas bringt mich auch immer ganz durcheinander. Als sie das erste Mal wiedergekommen sind, hatte ich gar nicht mit ihnen gerechnet, und als sie plötzlich draußen so auf mich zukamen, habe ich mich erschreckt ... naja, und ein bisschen beleidigt war ich auch."
"So lange hat das aber doch nicht angehalten. Du bist doch gleich wieder mit rein und hast dich mit Leckerlis bestechen lassen."
"Ich habe mich gefreut, du! Und du dich auch, tu mal nicht so!"
"Mir sind Menschen ziemlich egal. Unsere sind schon okay, aber man darf von dieser Spezies nicht zu viel erwarten."
"Wieso bist du ihnen denn dann so um die Beine, als sie das erste Mal wiederkamen? Du hast sie wie wild markiert, ihre Schuhe, ihre Koffer, alles!"
"Natürlich! Wie roch das denn auch alles! So fremd, nach Flughafen und U-Bahn und Linksverkehr!"
"Das kann man riechen?"
"Ich schon. Die waren in London! London riecht nach Diesel und Fisch und Bratfett und Vinyl!"
"Eeeecht? ... Und wo waren die jetzt beim zweiten Mal?"
"Dänemark. Ganz anders, vom Geruch her. Auch Fisch, aber ganz viel Salz und Meer."
"Wow, was du alles weißt, darauf muss ich auch mal achten!"
"Das bekommt man im Lauf der Zeit raus."
"Hast du auch gewusst, dass die anderen beiden wieder mit zurückkommen?"
"Klar, deswegen habe ich mich erst mal ein bisschen rar gemacht."
"Das musst du nicht. Unser einer Mensch macht sich dann immer Sorgen."
"Sie weiß aber doch, dass ich nur tue, was ein Kater eben tut. Zumal in Vollmondnächten."
"Dieser ganze Vollmondquatsch wird doch überschätzt. Das ist doch auch nur eine Nacht wie alle anderen."
"Aber so hell! Ideal zum Jagen! Leckere Feldmäuse, hundert Prozent Öko-Qualität, das ist nämlich ein echter Demeter-Acker da vor unserer Haustür."
"Was ist denn daran so besonders?"
"Da wird kein Gift gesprüht, deswegen sind sie besonders gesund."
"Das musst du den Menschen mal sagen. Die glauben nämlich, du magst gar kein gesundes Futter, weil du am liebsten diese billigen Tütenmahlzeiten frisst, mit jeder Menge Sauce und vom Supermarkt. Ich kriege da was ganz Tolles und Teures, das ist viel hochwertiger."
"Bei den vielen Ökomäusen kann ich auch ein bisschenTütenzeug fressen, das gleicht sich aus."
"Ich mag das auch. Aber mir schmeckt auch das ohne Sauce, das mit Gelee, dieses Pastetenartige ohne Stückchen ..."
"Iiih. Das lasse ich liegen."
"Und die Menschen denken, du bist krank."
"Ach was. Ich fresse eben nur nicht alles. Früher, in Mettenhof ..."
"... vor dem Krieg, jaja, ich weiß schon ..."
"... da bin ich ja von Haushalt zu Haushalt getingelt und habe überall was anderes bekommen. Deswegen mag ich jetzt immer noch Abwechslung."
"Die wird auch überschätzt, genau wie Vollmond. Hauptsache, die Menge stimmt! - Aber meinst du, jetzt ist erst mal alles wieder ganz normal?"
"Ich denke, schon. Die Koffer sind im Keller, der Besuch ist weg, das Klappbett steht da hinten an der Wand, und die Federdecken hier im Gästebett sind abgezogen. Habe ich überprüft. Sieht nicht so aus, als ob gleich wieder jemand kommt."
"Da bin ich froh. An diese Reiseritis müssen wir uns aber wohl gewöhnen ..."
"Isso, Loki."