3. Juli 2020

Zäune und Grenzen


"Duuu, Sherlock? - Sherlock!"
Schon da, kleiner Loki. Oha, hier auf dem Tisch? Will der Mensch die Zeitung denn nicht lesen?
"Doch, wollte sie, glaub ich, aber da muss sie jetzt kurz warten, ich bin mit meiner Toilette noch nicht fertig. Vor allem die Vorderpfoten muss ich noch saubermachen, da klebt so viel Harz dran von der hohen Tanne bei Moby im Garten ..."
Was treibst du dich da denn rum?
"Da ist eine Bruthöhle von einem Buntspecht drin! Ziemlich weit oben zwar, aber den würde ich mir ja so gerne greifen."
Und Moby nimmt das so hin?
"Keine Ahnung, der hat mich nicht gesehen. Er latscht ja auch durch mein Revier, dann muss er damit leben, dass ich auch bei ihm vorbeischaue. Aber ich glaube, er hat mir ein Friedensangebot machen wollen, die Menschen haben gesagt, gestern Morgen hätte eine tote Maus auf der Fußmatte vor der Haustür gelegen. Von mir konnte die ja nicht sein, ich war nachts drin ..."
Und vor allem lässt du die nicht liegen, bei dir wird doch keine Beute kalt.
"Eben! ... Trixie fängt keine Mäuse, Timmy darf nur noch an der Leine raus, weil er versucht hat, über die Straße zu rennen ... also kann das nur Moby gewesen sein."
Oder es gibt irgendwelche durchziehenden Wanderkatzen.
"Ihhh! Hoffentlich nicht! Ich habe mich gerade daran gewöhnt, dass es für mich in meinem Revier so schön ruhig geworden ist! - Du, was ich dir aber eigentlich erzählen wollte: Ich kann's jetzt!"
Was denn?
"Na, über den grünen Gitterzaun hinten an dem schönen Grundstück springen, wo so viel wild wächst und so hohes Gras und Gebüsch ist! Als unsere direkten Nachbarn diesen doofen, hohen Zaun aufgebaut haben, wusste ich ja zuerst gar nicht, wie ich da noch hinkommen sollte. Deswegen war ich ganz viel bei Trixie und bei Moby ... und ich glaube, der Büromensch hat sich furchtbar aufgeregt deswegen, weil das beides so dicht an der Straße ist."

"Ich habe hier alles im Blick in meinem Revier!"

Über die du ja nicht gehst.
"Nun lass doch mal! Nein! Ist mir viel zu laut da!"
Ich sag's ja nur ...
"Super-Lücke, wie für
mich gemacht!"
"Jedenfalls habe ich rausgefunden, dass hinter dem Carport von unseren Menschen eine breite Lücke im Zaun ist. Man muss da ein bisschen aufpassen, wenn bei Moby dieser Bullterrier rumrennt, dass der einen nicht sieht. Aber sonst ist der Durchstieg da sehr bequem. Dann kommt man in den Garten mit den schönen Hochbeeten, in denen man so toll buddeln kann, und direkt daneben ist doch mein Lieblingsgrundstück. Entweder, man geht ganz bis zum Acker, dann braucht man gar nicht über den Zaun, oder man springt eben doch über dieses halbhohe Dings. Den schaffe ich inzwischen richtig locker. Die Menschen haben mich gelobt, als sie mich neulich abends zum Reinkommen gerufen haben und ich ihnen gezeigt habe, wie elegant ich das mittlerweile hinkriege!"
Super, Kleiner. Hab ich dir immer gesagt. Das ist nur eine Frage des Trainings. Und wenn es bei dir mit der Tanne klappt ...
"Im Hochklettern war ich immer Meister. Du weißt doch noch, wie ich früher an dem Kratzbaum hoch bin, wenn du oben im Nest gepennt hast, um dir auf den Kopf zu hauen."
Äh, ja. Wie könnte ich das vergessen.
"Von daher sind Stämme für mich kein Problem. Krallen raus, Baum umarmen und zack zack zack nach oben. So zwei Meter sind da locker zu schaffen. Das mit dem Harz ist bisschen blöd, aber das nehme ich in Kauf."
Das hast du doch inzwischen fast komplett abgeknabbert von dem langen Fell zwischen deinen Zehenballen. Dann kannst du den Menschen auch seine Zeitung weiterlesen lassen.
"Man liegt aber richtig gut hier. Zum Putzen, aber auch zum Schmusen. Der Mensch hat mich ganz lange gekrault, mir ein paar Kletten aus dem Fell gezogen, und dafür habe ich mich sogar am Bauch  anfassen lassen. Wieso ist man da bloß so empfindlich, Sherlock? Manchmal denke ich, da gekrault zu werden, das wäre auch richtig schön ..."
Ein bisschen Überwindung gehört nun mal zum Leben. Isso, kleiner Loki.