1. Januar 2020

Neues Jahr, neues Abenteuer


"Duuuu, Sherlock! SHERLOCK! Wo bist du denn!"
Immer mit der Ruhe, hier bin ich doch. Frohes neues Jahr erstmal, Kleiner. 
"Ja, was auch immer! Das ist doch so ein Menschending ..."
Noch dazu eins, das mit dieser hässlichen Knallerei einhergeht. Deswegen waren der Schleichmeister und ich seit gestern auch nicht hier unten bei euch, der Krach hat schon zu Lebzeiten genug gestresst.
"Ich fand, das ging - gestern bin ich zwar ein paar Mal in den Keller, aber die meiste Zeit habe ich aus dem Fenster geguckt und war entspannt. Als dann um Mitternacht das Feuerwerk losging, bin ich zu den Menschen in den ersten Stock, die waren ganz überrascht."
Super, Kleiner, das freut mich ja. Und warum jetzt die ganze Aufregung?
"Ach, dann hast du das gar nicht mitbekommen ..."
Was denn?

"Najaaaa ... ich habe mich heute verlaufen, du ..."
Ach du Schreck. Aber doch nicht wieder auf die falsche Straßenseite? - Mann, Loki! Ich hab dir doch gesagt, nicht über die Bundesstraße laufen! Das ist total gefährlich, das musste ich ganz schmerzlich lernen, weißt du doch!
"Ich hab mich da versehen. Heute Morgen bin ich ganz normal raus um halb acht, erst mal lecker frühstücken und dann in den Garten, dann war ich bei Trixie - du, da klettere ich jetzt schon die halbe Treppe hoch, da wohnt doch die nette Katzensitterin mit den vielen Naschis! Jaaaa ... und dann bin ich durch den Garten, und da, wo die Straße sonst ist, da war heute gar nichts ..."
Wie, da war nichts? Ein paar tausend Quadratmeter Asphalt lösen sich doch nicht einfach in Wohlgefallen auf.
"Der Asphalt war schon noch da, aber überhaupt keine Autos. Alles total ruhig und leer! Und da bin ich doch mal rüber, auf den großen Bauernhof, wo dieser rotgestreifte Krawallkater wohnt. Ja, und als ich dann zurück wollte, war da plötzlich doch wieder ganz viel Verkehr, es war total laut ... und dann kam der Krawallkater und hat mich gejagt, und dann bin ich gerannt und gerannt und dann habe ich mich erst mal versteckt."
Oh-oh. Und die Menschen haben bestimmt einen fürchterlichen Schreck bekommen, als du nicht wie sonst spätestens um neun wieder zuhause warst. 
"Wahrscheinlich. Aber es war einfach keine Lücke mehr zwischen den Autos, die haben so viel Krach gemacht und sind so schnell gefahren, das war ganz schlimm."
Loki! Deswegen sollst du da ja auch nicht hin.
"Weiß ich ja ... Naja, jedenfalls habe ich dann gewartet. Es wurde dann ganz grau und kalt und nass, und es wurde dunkel ... da wurde mir schon ganz schön mulmig, und Hunger hatte ich auch. Aber irgendwann hat mein Halsband gepiept."
Ah! Wenn die Menschen das anpeilen, dann gibt es so einen leisen Ton.

Der neuste Peilsender: Die Farbe kann man sich nicht aussuchen, der
schicke in Rosa ist jetzt leider kaputt ... Aber wir sind dankbar, dass
es diese kleinen Dinger gibt. Sonst säßen wir jetzt wohl allein da ...

"Genau, das weiß ich ja. Bisschen später habe ich sie dann auch gehört. Ich hatte einen richtig guten Unterschlupf gefunden, sehr trocken, überall Mausaroma, in so einer verfallenen Scheune."
Ach, auf dem Modellhof mit dem edlen Reetdachhaus, das sich jemand aus dem Dorf richtig schön macht?
"Genau, aber der wohnt da ja noch nicht, das ganze Grundstück ist verlassen, und überall sind noch alte Gebäude. Zwischen runtergefallenen Dachbalken und alten Plastikrohren und zwei ausgehängten Türen, da lag ich. Da konnte mich keiner sehen, aber unsere Menschen sind trotzdem gleich auf mich zu."
Wegen dem Peilsender.
"Sie waren aber trotzdem ein bisschen ratlos, wo ich bin, und als ich gerade rauskommen wollte, hat da plötzlich ein Mann geredet."
Wahrscheinlich der Typ, dem das Grundstück da gehört. Wobei der eigentlich wirklich nie da ist.
"Heute aber schon, der wollte gucken, ob gestern Abend irgendwas passiert ist bei der Knallerei. Ja, und der hat die Tür weggenommen und gerufen, da ist er ja, und dann hab ich einen Riesenschreck bekommen und bin weggelaufen, und der Büromensch ist hinterher und hat mit mir geredet, aber ich habe nur die Straße gehört und die war noch immer so laut ..."
Also hast du wieder Panik geschoben und garantiert wie am Spieß geschrien.
"Neeiiin. Bisschen miaut vielleicht."
Oder auch ein bisschen mehr. Und dann bist du noch mehr weggelaufen.
"Aber nicht lange, du! Ich bin unter eine Gartenbank, und da habe ich mich auch anfassen lassen."
Puh. Der Mensch war garantiert fix und alle.
"Und ich erst! Sie hat mich auf den Arm genommen, und dann kam auch schon der Außer-Haus-Mensch mit dem Auto. Da hatte ich auch keine Angst mehr und bin ganz still sitzengeblieben, bis wir im Auto waren. Dann bin ich über ihre Schulter gefedert und auf den Rücksitz.  Da habe ich dann auch kapiert, dass sie mich nach Hause bringen und war schon ein bisschen erleichtert."
Loki, Loki. Dann warst du den ganzen Tag unterwegs?
"Ja. Aber nur, weil sie nicht früher gekommen sind! Wieso haben sie denn nicht gleich um zehn auf dem Hof nachgeguckt? Dann wäre ich doch schon früher wieder zuhause gewesen und hätte mein Mittagessen nicht verpasst!"
Isso, kleiner Loki. 

Ja, Loki hat uns am ersten Tag des neuen Jahres gleich zu einer Fitness-Einheit verholfen. Erst waren wir nur milde beunruhigt, als er morgens nach dem Frühstück auf seinen ganz normalen Kontrollgang gegangen, aber nicht wie sonst nach spätestens eineinhalb Stunden zurückgekommen war. Und sonst bekommen wir, wenn er sich verspätet, zumindest mit dem Girafus-Tracker ein Signal, das uns verrät, wie weit er sich von zuhause entfernt hat und in welcher Richtung er sich aufhält, weil er sich selten weiter als 100 Meter vom Haus entfernt. Heute gab es aber gar keine Peilung - auch nicht, als wir eine Runde durch die umliegenden Straßen bis hin zum Wald drehten. Mittags war er auch nicht zurück, und wir gingen nun schon sehr besorgt von Tür zu Tür und fragten, ob vielleicht jemand seine Garage zu schnell zugemacht hat, aber wieder konnten wir ihn nirgendwo in der Nähe orten. Wir suchten auch in der Siedlung auf der anderen Seite der Bundesstraße, und zumindest war er nirgendwo am Straßenrand zu entdecken - das ist ja immer noch unsere größte Angst, dass er wie Sherlock vor einem halben Jahr überfahren wird.
Nachmittags vorm Dunkelwerden gingen wir noch einmal los, erst rund um die Felder, die an unsere Straße grenzen, dann durch Wald und Flur auf der anderen Bundesstraßenseite. Und nachdem ich schon fast befürchtete, der Tracker sei kaputt (ich hatte erst am Tag zuvor einen neuen Sender aktiviert, nachdem der alte beim Batteriewechsel nur noch mit viel Glück zuzuschrauben war) bekamen wir endlich ein Signal. Wie unfassbar glücklich so ein kleiner Leuchtpunkt auf einem Stück Plastik einen doch machen kann ...
Tatsächlich war es ganz in der Nähe von dort, wo wir Loki vor eineinhalb Jahren wiedergefunden haben, als er vier Tage verschwunden war. Wobei es dieses Mal, obwohl er noch gar nicht so lange verschwunden war, noch mehr Brisanz hatte, denn damals brauchte er noch keine Medikamente - wie lange er nun ohne seine Entwässerungs- und Herztabletten durchhalten würde, weiß ich nicht. Um so glücklicher sind wir, dass wir ihn dank Peilsender wiedergefunden haben. Zwar hatte ich schon überlegt, ihn endgültig von dem Ding zu befreien, nachdem er sich vor zwei Tagen selbst damit geknebelt hat. Aber heute waren wir dann doch sehr, sehr dankbar, dass er ihn trug: Nie hätten wir ihn sonst aufgespürt. Er kommt nicht aus seinem Versteck, wenn man ihn ruft; es ist schon schwer genug, sich ihm draußen zu nähern, wenn man weiß, wo er ist.

 
Aber jetzt ist er wieder da - nach dem Stress des Tages schläft er sich jetzt erst einmal aus. Und wir sind froh. So froh.