10. Juni 2021

Wacklige Angelegenheit

 

"Duuu, Sherlock! Sherlock! Du musst mir mal helfen!"
Ich komm ja schon, kleiner Loki. Was liegt denn an?
"Wie kriege ich unsere Menschen denn bloß dazu, dass sie mehr Kätzisch verstehen? Manchmal denke ich, sie sind aber auch zu gar nichts zu gebrauchen ..."
Kannst du so aber auch nicht sagen, Loki. So ein paar Sachen kriegen sie mit dir doch gut hin. 
"Ja, aber guck doch mal ... ich kann meine Klappe überhaupt nicht mehr richtig benutzen! Und ich maunze und meckere, bleibe draußen sitzen, guck sie an, guck die Klappe an, und glaubst du, die merken was?"
Ja, wieso, was sollen sie denn merken?
"Na, wie der Tritt wackelt! Der fällt fast um! Ich kann mich überhaupt nicht davon abfedern, wenn ich reinwill, und wenn ich rauswill, dann habe ich Angst, dass der unter mir wegglitscht ... schlimm ist das! Ich meine, ich muss doch raus, ich muss doch mein Revier kontrollieren, und sie machen mir nicht mal mehr die Terrassentür auf!"
Oha. Ja, jetzt sehe ich's, der hat sich ja ganz von dem Türrahmen gelöst.
"Eben! Das war der Büromensch! Sie hat da neulich dran rumgefummelt und die schwarzen Strippen abgemacht, mit denen er vorher festgebunden war. Angeblich, weil das nicht schön aussieht! Das mag ja sein, aber so saß er wenigstens bombenfest! Sie hat dann irgendwas anderes gemacht, so Klebepunkte oder so, aber die halten doch nicht, wenn ich mit meinem Schwunggewicht draufspringe!"
Das liegt vielleicht auch am Schwunggewicht ...
"Lass das mal! Ich hatte seit ewig keine Leckerlis mehr, weil ich nur noch zu den Mahlzeiten rein bin!"
Warst du deswegen so nervös? Die Menschen haben sich Sorgen gemacht ...
"Und mit Recht! Natürlich hat mich das nervös gemacht! Wenn man dem Tritt nicht mehr trauen kann, dann kann man gar keiner Oberfläche mehr trauen, die irgendwie nachgibt. Dem Sofa nicht, und der Matratze im Bett auch nicht!"
Loki, jetzt übertreibst du aber. Das Sofa glitscht schon nicht weg. Das glitscht doch auch unter den Menschen nicht weg. 
"Sagst du!"
Ist auch so. Nur, weil so ein Tritt wackelt, gerät doch nicht die ganze Welt aus den Fugen.
"Für dich vielleicht nicht. Ich mag es gar nicht, wenn sich Dinge in meiner Umgebung verändern!"
Zugegeben, ich hatte es auch immer gern, wenn alles in gewohnten Bahnen lief, aber das hat bei mir nur selten funktioniert, schließlich ...
"Jaja, warst du lange auf der Walz, ich weiß. Ich aber nicht. Ich habe seit dreieinhalb Jahren ein festes Zuhause, auf das ich mich verlassen will. Das lief doch alles so schön - feste Fressenszeiten, feste Schlafenszeiten, ein festes Revier ohne nervige Konkurrenten, aufmerksame Versorger ..."
Daran hat sich ja nun auch grundsätzlich nichts geändert. 
"Ha! Und Paul?"
Geht jetzt nur noch an der Leine raus, habe ich gesehen.
"Hoffentlich. Er guckt mich jedenfalls nicht eben freundlich an, wenn er mich im Garten sieht."
Paul behält Loki genau im Blick.

Der reine Neid, der arme Kerl ist eingesperrt.
"Sein Problem."
Und die Menschen sind doch aufmerksam und tüdeln den ganzen Tag um dich rum.
"Das mit dem Tritt haben sie aber noch immer nicht gemerkt! Und ich glaube, sie wollen wieder in Urlaub fahren, du!"
Menschen fahren gern in Urlaub.
"Aber meine doch nicht mehr! Das ging doch nicht wiegen diesem Virus!"
Dagegen sind sie jetzt geimpft.
"Ihh! Hat sie etwa jemand zum Arzt geschleppt, in so einer Kiste womöglich noch?"
Die gehen da freiwillig und von selbst hin und lassen sich pieken.
"Menschen sind ganz schön bekloppt."
Isso, kleiner Loki.
 
Tatsächlich hat es eine Weile gedauert, bis uns auffiel, dass Lokis Tritt ein ganzes Stück von der Wand abgerückt war. Ob es wirklich daran gelegen hat, dass unser kleiner Kerl ein paar Tage lang überhaupt nicht mehr freiwillig ins Haus kam, ist schwer zu sagen, aber fest steht, dass er irgendwann anfing, beim Sprung von drinnen nach draußen stundenlang mit dem Deckel zu spielen, wieder wegzulaufen, es noch mal zu probieren und dann einen Verzweiflungsspung mit Anlauf zu wagen - davon abgesehen, dass er schon seit Tagen ganz unruhig durchs Haus schlich, extrem schreckhaft und ängstlich war und von uns irgendwie gar nichts wissen wollte. 
Inzwischen sind die hässlichen alten Klettverschlüsse wieder an Ort und Stelle, der Tritt steht wackelfest, und Loki kommt wieder um halb zehn ins Haus, um sich sein zweites Frühstück zu holen. Und er hat auch wieder weniger Angst und kommt abends auf den Schoß, nur das Sofa meidet er immer noch. Wir hoffen mal, dass sich das alles gegeben hat, bevor wir dann tatsächlich für ein paar Tage wegfahren - denn das hatte Loki schon richtig verstanden ...